Hitman: Dinner for one

Hitman zu spielen macht mich traurig. Nicht wegen der Geschehnisse auf dem Bildschirm. Es sind die Bilder, die mir nicht gezeigt werden, die mich betroffen machen.

Hitman ist ein Spiel über den einsamsten Menschen der Welt. Ein Mann ohne Zuhause, ohne Familie, ohne Freunde. Ein Mann ohne Hobbies, ohne Namen und ohne ein einziges Körperhärchen. Agent 47 ist die Modellbezeichnung für ein Mordwerkzeug, nicht für eine lebendige Person. Der Barcode im Nacken als Erinnerung daran, dass 47 nur ein Produkt ist, hergestellt von Menschen, die andere Menschen mit seiner Hilfe loswerden wollen. Kalt und gefühllos erledigt der auf strikten Gehorsam abgerichtete Klon sein Handwerk, doch was nach getaner Arbeit für ein Leben auf ihn wartet, wird verschwiegen.

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Die Gedankenwelt unter der Fleischmütze ist 17 Jahre nach Erscheinen des ersten Titels nach wie vor weitestgehend unergründet. Bis auf wenige Details seines Heranwachsens ist wenig über 47 bekannt. Seine Wesenszüge sind unlesbar und ich scheue mich fast davor, sie überhaupt so zu nennen. Er ist trainiert darin, sich nahezu jeder sozialen Situation anzupassen, gleichzeitig Teil einer Menschenansammlung und doch in ihrer Mitte unsichtbar zu sein. Er spricht in einer beruhigen, monotonen Stimmlage, sofern er sich zum Sprechen gezwungen sieht. Was selten ist. Sehr selten. Er ist nicht mehr als ein Schatten seiner selbst.

Mit diesem unbestellten Charakterisierungsbrachland fährt man seit jeher sehr gut, da alles Menschelnde von der herzlosen Profession des lautlosen Killers ablenken würde. Ich kann das allerdings nicht mehr hinnehmen. Ich male mir aus, wie der typische „Feierabend“ von 47 wohl aussehen mag. In seinen spartanisch eingerichteten Zufluchtsorten, die überall in der Welt verstreut sind, widmet er sich dann dem einzigen sinnlichen Genuss, den er sich zugesteht. Mit einer ähnlichen chirurgischen Präzision, mit der er seinen Opfern die Kehle durchtrennt, schneidet er Fleisch und Gemüse. Er nimmt sich Zeit. Er zelebriert seine Mahlzeiten, ohne laufenden Fernseher, ohne Musik im Hintergrund. Er duldet keine störenden Nebengeräusche.

„Names are for friends, so I don’t need one.“

Anschließend lauscht er paranoid in die Stille hinein, weil ein Abschalten jederzeit sein Ende bedeuten kann. Er ist rastlos, er muss rastlos sein. Er schläft mit offenen Augen und wachem Geist, bis die Spannung seines Körpers letztlich doch nachlässt und das Bewusstsein schwindet.

Die toten Winkel seiner Geschichte sind so vielfältig, dass meine Fantasie nicht ausreicht, sie alle auszuleuchten. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass 47 seine Taten nicht reflektiert. Dass er ihre Rechtmäßigkeit nicht infrage stellt. Die Momente, in denen Zweifel seine unerbittliche Konsequenz durchkreuzen, sind so spärlich gesät, dass man sie leicht übersehen kann. Etwa, als er in Hitman: Absolution seine langjährige Kontaktperson Diana Burnwood umbringen soll, er sie jedoch bewusst nicht tödlich verletzt. Doch dies sind Zweifel, die das Spielprinzip untergraben. Wenn ich als Spieler plötzlich beginne, so etwas wie ein Gewissen zu entwickeln, lässt sich keine weitere Mission mehr mit einem guten Gefühl abschließen. Deshalb gleicht 47 auch einem leeren Blatt Papier, das laminiert wurde, damit jeder Versuch, es zu beschreiben, zum Scheitern verurteilt ist.

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So klammere ich mich an die wenigen scheuen Blicke, die mir die Reihe in die Psyche seiner Hauptfigur gewährt hat. An die Zuneigung für Tiere, die 47 während seines Heranwachsens im Institut gezeigt hat und die ihm bis heute für menschliche Wesen völlig abzugehen scheint. An die bedingungslose Loyalität, die er den wenigen Personen entgegenbringt, die ihn längere Zeit auf seinem Weg begleitet haben. Aber auch an die Hingebung für seine Arbeit, die ihn mit Sinn zu erfüllen scheint und für die die Bezahlung längst nebensächlich geworden ist.

Ein konsistentes Bild ergibt das freilich nicht. Dennoch hänge ich mir die verschwommene Aufnahme an die Wand, als Erinnerung daran, wie wenig man über eine Videospielfigur wissen muss, um mit ihr zu töten.

Und während ich mir vor dem Fernseher meine Tiefkühlpizza reinziehe, mache ich kurz den Ton aus und lausche in die Stille. Dann schalte ich ab. Manchmal ist es einfach besser, nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu sagen.

 



4 Antworten zu „Hitman: Dinner for one”.

  1. Finde deine Beschreibung von 47 sehr gelungen, toll wenn man mal einen so undurchsichtigen Charakter etwas beleuchtet und sich fragt, „Was macht der Kerl eigentlich sonst noch, außer seinen Pflichten nachzukommen.“

    Ich selbst schreibe über meine Spielerlebnisse in Form einer fortlaufenden Story, vielleicht interessiert es dich ja, ich lasse dir mal nen Link hier. https://playimmersive.wordpress.com/

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  2. Diese Gedanken hatte ich mir noch gar nicht gemacht, obwohl ich mit Agent 47 viele Stunden verbracht habe. Eine schöne Idee, sich eine Spielfigur einmal außerhalb der Missionen vorzustellen. Das bietet viel Raum für Fantasie 🙂

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  3. […] Hitman: Dinner for One auf siebenvonzehn.wordpress.com […]

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